Mein lieber Bruder

Ansprache für Jürgen Prothmann 17. 02 .2017  Sieg-Bestattungen
 
 
Es fliesst ein Fluss durch Zeit und Raum. So breit und tief doch sieht in kaum jemand der nur mit Augen sieht, die Seele nicht mit einbezieht.
 
Er fliesst oft zäh und schwer dahin. Dann wieder reisst und packt es ihn. Mal stürzt er endlos in die Tiefe. Mal fliesst er sanft als ob er schliefe.
 
Unaufhaltsam zieht er fort, von einem bis zum and’ren Ort. Kennt weder Zweifel noch Verdruss, fliesst er dahin, der Lebensfluss
 
 
Begrüßung ….
 
 
Es fließt ein Fluss durch Zeit und Raum ….. unsichtbar für das menschliche Auge, so alltäglich das wir ihn gar nicht mehr bemerken … mal sprudelt er zart, mal strömt er kraftvoll dahin …. der Lebensfluss …. Jeder Mensch hat ihn, aber die wenigsten nehmen ihn wahr …. und irgendwannn ist es dann soweit und er hat die Mündung zum Meer erreicht. Wir sind heute hier, um Abschied zu nehmen  von Jürgen Prothmann …. und um das Leben, das er geführt hat zu würdigen …
 
Doch das sagt sich natürlich immer so leicht dahin, Abschied nehmen, und ist doch alles andere als das … 61  Jahre ist er alt geworden … Der Abschied von ihm zu diesem Zeitpunkt – wie aus heiterem Himmel, drei Wochen nur – länger hat es nicht gedauert. Gegen diese schwere Erkrankung hatte er keine Chance …. niemand hatte das.  Es braucht Zeit, um das zu begreifen, bis das Herz da hinter her kommt ..
 
Also wie soll das  gehen, dieses Abschied nehmen ? Nicht weil ich es will sondern weil ich es muss … und ist das überhaupt möglich ohne die Frage danach, was mir bleibt von diesem Menschen ….?  Irgend etwas, das mir einen Halt gibt und etwas Trost …   Diese Spuren, von denen immer die Rede ist, die ein Mensch hinterläßt, die jeder Mensch hinterlassen kann, wenn er diese Welt eines Tages wieder verlässt ...
 
Und nun sind wir hier … auf der Suche nach diesen Spuren ….  Wir denken an ihn … an das Leben, das er geführt hat und was Sie von ihm in Erinnerung behalten möchten … Wir feiern, dass es ihn gegeben hat .. genauso wie er war,  einzigartig auf seine Weise .. und liebenswert ... mit all seinen Stärken und Schwächen, die eben zu
ihm gehörten .
 
Aber lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, denn Geschichten erzählen hilft ja bekanntlich gegen Traurigkeit … Wenn es einen Himmel gibt .. und nehmen wir das doch einfach mal als ein Gedankenspiel ... dann müßte vor dem Eingang in diesen Himmel ein Fluss fließen … der Lebnsfluss müsste das sein …. von der Erde mitten in ein himmlisches Paradies hinein hinein … Und vielleicht würde … direkt an diesem Fluss ein Grenzhäuschen stehen aus dem nun jemand heraus kommt ……  und  mit sanfter Stimme  spricht… Herzlich Willkommen, lieber Jürgen …. Bitte sag mir doch doch … Wo kommst du her .. ? Wer bist du gewesen …?  Erzähl mir doch von dir … erzähl mir deine Geschiche ….!
 
Und er schaut erst ein bischen skeptisch. Was ist denn das für einer … fragt er sich … aber weil das netter Kerl zu sein scheint und er immer noch ein wenig ko ist von der langen Reise, da  schließt er sich ihm an ….  Direkt an seinem Lebensfluss liegen zwei große Steine, dort setzen sie sich hin, die beiden,  und blicken auf das Wasser hinaus .. Und Jürgen beginnt zu erzählen aus seinem Leben … wie das war damals in Waltrighausen, wo er groß geworden ist . Es war der 07.Juni 1955 als Sie, liebe Frau Prothmann, Ihren Sohn das erste mal in den Armen hielten ... Etwas später brachten Sie Birgit auf die Welt und ihr Jüngster, Dirk, machte schließlich ihre Familie vollständig … Bei drei Kindern, da gehts sicher mitunter hoch her … Auch daran denkt er nun zurück , dort oben im Himmel, an die innige Geschwisterbande, die in diesen  ganz jungen Jahren ihren Ursprung hatte  … und die sich mit der Zeit mehr und mehr vertieft hat … Da war einer für den anderen da, egal was war …. und wenn nachts um 3 das Telefon klingelte …. ! Ein gewachsenes Vertrauen … das keiner großen Worte bedurfte …
 
Und der Fluss des Lebens fließt, sanft plätschert er dahin... während die beiden ihren Blick über das  Wasser schweifen lassen …  dort oben ... wo  es keine Sorgen mehr gibt …. nur mehr ewigen grenzenlosen Frieden … Jürgen machte eine Lehre zum Augenoptiker, feinmechanisches Arbeiten mit einem Sinn für das Detail … das lag ihm …. Er als Jugendlicher ? … Das waren: Lange Haare, Schlaghose … und Moped fahren …!  So haben Sie, liebe Frau Prothmann, ihn auch kennen gelernt …. auf dem Schlossplatz …blutjung, gerade mal 15 war er da …  Und der hatte was, dieser Junge,  sympathisch, nett, ohne aufzuschneiden … einfach er selbst … Und gut ausgesehen hat er auch noch … das hat Ihnen gefallen ...     Und er fließt weiter, sein  Lebensfluss …. Er erneuert sich  in jedem Moment … und  bleibt doch zugleich derselbe …  Die warme Sonne bricht sich auf dem Wasser  während Jürgen erzählt …. Von Ihrer Hochzeit, vor nun mehr 41 Jahren …  Und der Geburt Ihres Sohnes Jan … Und der freundliche Himmelsbewohner  hört ihm aufmerksam zu … Da war da so vieles was gut war, was schön war, was getragen hat …. Familie, Freundschaft … die Gemeinschaft mit anderen .. Und Jürgen mittendrin mit seiner ruhigen Art, dabei offen und gerade heraus .. Und immer für einen Scherz zu haben …. Zusammen mit anderen eine schöne Zeit verbringen … Fußball gucken,
Bierchen trinken, bei schönem Wetter draussen grillen ..  Und natürlich hoffen und bangen, dass Hannover 96 gewinnt … Oder die Treffen mit der Sportgruppe in den letzten Jahren,  Hockey spielen .. im Sommer eine Fahrradtour auf die Beine stellen … und .. ganz wichtig ! Die Jägergemeinschaft …. seine Liebe zur Jägerei …. Auch davon erzählt Jürgen  nun .. seinem neuen Freund da oben … Und zwar voller  Bgeisterung ….. Denn das war kein Hobby … das man so nebenbei macht, das war echte  Leidenschaft verbundnen mit einer großen Nähe zu Natur …  
 
Und auch wenn ich Sie persönlich leider nicht kennen lernen durfte, lieber Herr Prothmann,  habe ich doch ein Bild davon bekommen, was für ein Mensch Sie waren, wofür Sie standen , was Ihnen  wichtig war im Leben …  Was man sicher über Sie sagen kann ist, dass Sie sich einer Sache ganz und gar verpflichten konnten , nach dem Motto:  Ganz  oder gar nicht !  Sie waren lange Zeit  ein guter Sportschütze …. Daraus entwickelte sich dann irgendwann die Jägerei … Einmal Feuer gefangen  … und sie waren sofort  mit vollem  Einsatz und Engagement bei der Sache … besuchten alle Treffen, lasen alle Fachzeitschriften von vorne bis hinten durch , freuten sich auf jede Jagd, bei der Sie dabei waren …. Klar waren Sie stolz auf ihre Erfolgserlebnisse,  aber es hatte auch eine andere Seite … Aufmerksam  durch Wald und Flur zu streifen, die Natur zu genießen, eins zu werden mit ihr … Dort einen Hasen hoppeln zu sehen, den Vögeln zu lauschen … all das gab ihnen viel …. Es erfüllte sie …. wie ihre Schwester meinte … Sie haben so viel geteilt miteinander, sich alles erzählt ..  damals, als Sie noch Kinder waren, und daran hat sich auch später nichts geändert …. Und egal, wo sie hin kamen,  sie waren überall gern gesehen … Dass  es so schnell mit ihnen zu Ende ging …. manch einer konnte es kaum glauben, als er diese Nachricht erhielt ….
 
Aber da ist ein Land der Lebnden und ein Land der Toten und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe, das einzig Bleibende, der  einzige Sinn …. Diese Zeilen haben Sie, liebe Familie, mir mit auf den Weg gegeben … Und es ist ja so … Auch wenn ein Mensch uns verlassen hat, die Liebe für ihn, die bleibt …. All die Bilder, Geschichten, Erinnerungen, die einen festen Platz in Ihrem Herzen haben, und die Sie nun miteinander teilen können .. All das kann Ihnen auch der Tod nicht nehmen … Wenn ein Mensch, der mir nahe steht für immer gegangen ist, dann hinterlässt er Bilder in mir, viele Bilder, mache gefallen mit mehr, manche gefallen mir weniger … Wie das eben so ist …
 
Und die Erinnerung, die Fähigkeit die wir alle haben, uns vergangenes zu vergegenwärtigen … ist nun wie eine Brücke über diesen Fluss des Lebens .. eine Brücke, die zwei Menschen miteinander verbindet … Unsere Gedanken und Gefühle wollen immer wieder zu ihm hinüber, auf die andere Seite der Brücke, um dort ein wenig zu verweilen und die vergangenen Bilder wieder aufeben zu lassen …
 
Und so ist die Zeit der Trauer auch eine Zeit des häufigen Hin und Her Gehens, auf dieser Brücke ... Immer wieder ... hin zum anderen und zurück zu uns selbst ... In unserem äußeren Leben .. das wissen wir .. wird es diesen Menschen nie wieder geben .. Doch in unserem Inneren kann mit der Zeit ein ganz lebendiges Abbild entstehen ... das uns nie wieder verlässt ...

Bleiben wir doch noch ein wenig bei dem Bild von einem Fluss, dem Lebensfluss, niemand sieht ihn, der nur mit Augen sieht, die Seele nicht mit einbezieht …. Das Bild eines Flusses wird ja tatsächlich gerne und oft benutzt, um ein Menschenleben zu beschreiben …. Wie ein unsichtbares, inneres Bild …. das jeder in sich trägt … Das einfach da ist … ob man nun hin schaut oder nicht …  Wie ein  Fluss bleibt auch der Mensch in gewisser Weise immer er selbst …. Ist da im Kern etwas Konstantes …. und zugleich verändert er sich … muss er sich verändern, um lebendig zu bleiben … wie ein Ruf, ein Locken, ein : Komm, hier sind Möglichkeiten oder: Sieh, auch so kann es gehn … Oder: Nimm doch mal diesen Weg und schau was passiert ….
 
Möglichkeiten fand Jürgen auch … um sich das Leben frisch und interessant zu halten: den Schießsport, das Jagen … Vor Jahren entdeckte er die Tiffany Glaskunst für sich, durch seinen Beruf als Augenoptiker war er exaktes Arbeiten mit Glas gewöhnt ... So manch einer wird bestimmt das ein oder andere fein gearbeitete Stück bei sich zu Hause haben …. Und er legte sich ein Motorrad zu …. Mit seiner  Frau auf dem Rücksitz gemütlich durch Schaumburger Land zu cruisen …. Päuschen einlegen, Zigarre rauchen …. Das war genau nach seinem Geschmack,  so viele Erinnerungen, die sich im Fluss des Lebens spiegeln … 41 Ehejahre … Ihr Herz, liebe Frau Prothmann, muss voll sein von Erinnerungen …. Sie brachten das Temperament mit in ihre Ehe und Jürgen seine Ruhe …. Was für ein langer Weg das war … Wie viel Sie beide zusammen erlebt und auch gemeistert haben ….
 
Unvergessen, für die, die dabei waren …  bleiben sicher auch die Tage in Florida zum Harley Treffen dort ….Auch sie liegen wie ein Schleier auf den Wassern der Zeit …   Da ist er sogar ein paar Jahre später noch mal hin weil es ihm so gut gefallen hat …Und das Angeln … Mit dem Bruder am See sitzen,  Angel auswerfen,  Natur genießen zur Ruhe komme … Überhaupt Familie : ein ganz wichtiger Dreh- und Angelpunkt in seinem Leben …. Seine Mutter, die Geschwister, sein Sohn Jan, Lebengefährtin Conny und die Enkelkinder natürlich Noam und Paula ….   Ist noch gar nicht so lange her, dass er meinte er würde gern mit seinem Sohn mal nach Kanada, zum Angeln … Das hat leider nicht mehr geklappt …Manchmal reicht die Zeit einfach nicht für all das, was man tun möchte …. Aber  ein paar Stündchen,  um nach Bad Nenndorf zu fahren und  mit seiner Mutter gemeinsam zu frühstücken … die waren immer drin … Um mal wieder über Gott und die Welt zu plaudern …. und zu hören wie es denn so läuft ....
 
Und da konnten Sie sich auch drauf verlassen, liebe Frau Prothmann …  das es hin und wieder  an der Tür klingelte und ihr ältester Sohn vor der Tür stand …. So kannte man ihn ja auch … Absolut zuverlässig und mit einer ganz hilfsbereiten Art,  auch
wenn im Bassenbrink mal wieder Straßenfest anstand ..  da hat er gern geholfen …Ein guter Freund, offen und gerade heraus … So vieles, das in Erinnerung bleiben wird, Kleinigkeiten, ein Umarmung, ein Lächeln, ein gut gemeintes Wort … Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht …  manchmal …  fließt dahin wie Wasser durch ein Flussbett …. unaufhaltsam ….. man kann ihr zwar  nicht entrinnen ….  aber es ist möglich mit ihr zu reisen …. durch die Zeit zu reisen, allein Kraft der Erinnerung....
 
An einem Dienstag, dem 31. Januar  hat er diese Welt verlassen … und wer weiß, vielleicht sitzt er ja tatsächlich gerade irgendwo an einem weit entfernten Ort an seinem Lebensfluss, gemeinsam mit seinem neuen Freund … und plaudert über sein Leben hier unten auf der Erde, gemeinsam mit Ihnen allen ...
 
Wenn alles Leben sich ständig verändert, wenn auch Sterben Veränderung bedeutet …. dann ist vielleicht auch der Tod nur ein Übergang in eine andere Welt, die letzte große Veränderung, derer wir fähig sind: Letztlich weiß keiner von uns, was nach dem Tod mit uns geschieht, es ist ein Abenteuer wenn man das so sehen kann oder möchte …. Wenn Leben Veränderung bedeutet, im Sinne eines Flusses, der sich beständig erneuert, dann lebt auch unser Planet, dann leben die Sonnen, und dann werden auch Universen geboren und Universen sterben ….  Und wir mitten drin in diesem seltsam schaurig schönem Lebensspiel ….. Nichts könnte je vergehen oder verschwinden,  alles wäre in Bewegung, in einem beständigen Prozess der Veränderung  …..Und wir bräuchten  keine Angst mehr zu haben, nie wieder ….
 
Steht nicht an meinem Grab und weint ich bin nicht dort ich schlafe nicht ich bin die 1000 Winde die wehn ich bin das Glitzern der Sonne im Schnee ich bin das Sonnenlicht auf reifem Korn. Ich bin der warme Herbstregen. Wenn du aufwachst in der Morgenstille bin ich der Flügelschlag der stummen Vögel und des Nachts  bin ich die Sterne die sanft leuchten. Steht nicht an meinem Grab und weint Ich bin nicht dort, ich schlafe nicht ….
 
Wenn dir jemand erzählt …. dass die Seele mit dem Körper zusammen vergeht ... und dass das, was einmal tot ist, niemals wieder kommt …. so sage ihm … : Die Blume geht zu Grunde .. aber der Samen bleibt zurück … und liegt vor uns … geheimnisvoll... wie die Ewigkeit des Lebens …
 
Und wünschen wir ihm ….dass er seinen Frieden gefunden hat, er hat es sich verdient!

Was wir lieben, vergessen wir nicht.
Meine Tränen wollen nicht trocknen, denn du fehlst uns so sehr.
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